Dr. Kressensteins Ranking: Platz 11

 Dr. Kressensteins Ranking: Platz 11

Nachdem ich mich im letzten Artikel über die Inselwanderschaft der Spiele SM und USUM aufgeregt habe, folgt heute mein Platz 11. Wie ich die einzelnen Spiele unterscheide und welches Game einen eigenen Platz bekommt und welche zusammengefasst werden, könnt ihr hier nocheinmal nachlesen. Dabei möchte ich noch einmal daran erinnern, dass es hier um eine persönliche Meinung geht. Auch wenn ich versuche, sie mit Fakten (und Bauchgefühl) darzulegen, hat jeder das Recht, diese Fakten anders zu gewichten und eine andere Meinung zu haben. Und nun los:

Platz 11: Let’s Go Pikachu/Evoli (LGPE)

Platz 11 belegen die Re-Remake Spiele mit der einzigartigen Fangmechanik: Pokémon Let’s Go Pikachu und Pokémon Let’s Go Evoli. Bis Ende 2020 haben sich diese Editionen über 12 Millionen mal weltweit verkauft. Und auch die Anzahl der Switch-User hat sich seit dem Release allein in Japan vervierfacht. Dabei liegt das doppelte Erfolgsrezept dieser Spiele auf der Hand:

Die Konzeption als Einsteigerspiel sowie die Retroperspektive zu Kanto liefern sowohl für Neueinsteiger, als auch für Veteranen einen Anreiz, diese Spiele zu kaufen. Das Partnerpokémon, welches, je nach Edition vorgegeben, ein Pikachu oder ein Evoli ist, fühlt sich dank der Liebe zum Detail in diesen Editionen auch erstmals wirklich wie ein Partner statt wie ein austauschbares Tier an. So sind Partnerlook oder das lässige von-der-Schulter-springen in Kampfeinsätzen kleine, aber feine Gimmicks, die dem Retro-Gefühl der 1. Generation nicht im Wege stehen, sondern es eher ergänzen.

Ebenfalls besonders positiv zu erwähnen ist der Verzicht auf VM-Attacken. Natürlich wäre ein Kanto-Game ohne die Sträucher, Wasserrouten um die Zinnoberinsel oder den stockfinsteren Felsentunnel nicht echt. Eine Rückkehr zu den VMs, nachdem sie in der selben Generation revolutionär entfernt wurden, wäre aber auch ein Rückschritt in die falsche Richtung gewesen. Die Lösung waren diesmal Geheimtechniken, die das Partnerpokémon erlernen konnte, ohne dafür einen Attackenslot aufgeben zu müssen. Gleichzeitig war die storybedingte Einschränkung des Einsatzes logisch fortgeführt. Alles in allem eine sehr schöne Lösung.

LGPE ist ein Einsteigerspiel

Dass das Spiel eher für Anfänger geeignet ist, sieht man auch deutlich an der Anzahl der Pokémon, die ein Trainer einsetzt. Waren es in RBG noch im Schnitt 2,5 Pokémon pro Trainer und in FrBg 2,4, so sind es in LGPE nur noch 1,7 Pokémon pro Trainer, also noch niedriger als in SMUSUM. Dieser Wert ist jedoch mit Vorsicht zu genießen. Er wird nämlich massiv durch die Meistertrainer gedrückt, die alle jeweils nur ein Pokémon einsetzen.

Als Endgame-Feature sind die Meistertrainer eine nette Ergänzung für eben jene, denen das Maingame zu einfach war. Sie unkritisch einfach mitzuzählen ist insofern nicht korrekt, als dass man in diesen Kämpfen selbst ebenfalls nur ein Pokémon einsetzt. Zieht man die 146 Meistertrainer mit jeweils einem Pokémon aus der Gleichung raus, so erhöht sich der Durchschnittswert auf 2,0 Pokémon pro Trainer. Dies ist zwar immer noch nicht auf dem selben Level wie bei den Generationsvorgängern, jedoch schon deutlich angenehmer als bei den Kollegen der 7. Generation.

Die Fangmechanik

Kommen wir nun zum größten Elefanten im Raum, der Mechanik der wilden Pokémon. Die einen lieben diese Änderung, die anderen finden sie für ein Konsolenspiel absolut ungeeignet. Ich selbst denke mir… meh…. Die Fangmechanik ist in seiner Grundidee nicht sonderlich realistisch, wie schon in Pokémon Go werden hier einfach nur Bälle wie mit einem Maschinengewehr auf die Pokémon geworfen. Aber auch in den normalen Pokémonspielen ist die Mechanik nicht sonderlich realistisch. Ein besiegtes = ohnmächtiges Pokémon ist nicht mehr fangbar und Bälle treffen immer (abgesehen von Gen. 1). Am realistischsten finde ich daher die Kämpfe gegen die Legendären Pokémon in LPGE. Zunächst müssen sie besiegt werden. Erst dann sind sie nicht mehr in der Lage, sich einem Fangversuch zu entziehen. Aber garantiert ist der Fang noch nicht. Leider ist dieses Verfahren nur bei den Legendären Pokémon vorzufinden. Die tatsächliche Umsetzung mit dem JoyCons (oder per Knopfdruck) dagegen ist eher mäßig spaßig. Insgesamt wird aber so das Fangen mehr in den Fokus des Spiels gesetzt. Dadurch heißt es nun wirklich eher „Gotta catch ‘em all“ statt „Gotta catch six of ‘em and then rush through the region“.

Aber müssen beim Bereisen der Region wirklich die Pokémon alle auf der Map vorher sichtbar sein? Natürlich hat man sich immer sehr geärgert, wenn das gewünschte Pokémon im hohen Gras nicht auftaucht und stattdessen die Rattfratz-Rate weit über 9000 ist. Es macht tatsächlich das Shiny-Hunting und das gezielte Suchen einfacher (vielleicht schon zu einfach?), aber gehört zu einem rundenbasierten RPG, zu den die Pokémon-Spiele ja zählen, sowas nicht auch ein bisschen dazu, nicht sofort alles sehen zu können? Naja, jedem seine Meinung.

Ein Pokémonteam aus... 150 Pokémon?

Der Schwierigkeitsgrad wird durch zwei weitere Faktoren drastisch gedrückt, welche je nach Perspektive als „gut“ und „schlecht“ zugleich zu betrachten sind. Zum einen gibt es keinen PC für die Pokémonlagerung mehr. Stattdessen hat man die Lagerbox dabei und zu (fast) jeder Zeit Zugriff darauf. „Toll“… denken jetzt einige. Und tatsächlich ist das beim Fangen und Erkunden der Region echt praktisch, nicht immer wieder die Reise auf der Route unterbrechen zu müssen, wenn man ein Pokémon auswechseln will. Dadurch hat sich bei mir auch die Bereitschaft gesteigert, mich auf mehr Pokémon einzulassen und nicht auf sechs Auserwählte festzulegen. Aber da kommt dann auch die Krux. Die Top4 ist zum Beispiel deswegen eine Herausforderung, weil ich fünf starke Trainer nacheinander mit meinem Team besiegen muss. Wenn ich aber zwischen den einzelnen Trainern mein Team einfach komplett austauschen kann, ist dies keine Herausforderung mehr. So kann ich theoretisch mit allen jemals von mir gefangenen Pokémon, die ich nicht verschickt habe, die Liga herausfordern. Dies macht ein vorheriges Auseinandersetzen mit der Frage, wie ich mein Team gestalte, obsolet.

Das Statuswerteparadoxon

Der zweite neutrale Faktor nenne ich das Statuswerteparadoxon. Sind wir mal ehrlich, Evoli und Pikachu sind von ihren Statuswerten her nicht die besten Pokémon. Und durch den Fakt, dass sich die beiden Starter nicht entwickeln können, bleiben die besseren Versionen dieser Pokémon für den Starter nicht erreichbar. Von daher ergibt es Sinn, dass das Starterevoli bzw. das Starterpikachu einen Boost in den Statuswerten erhält.

Jeder Starter erhält 100 extra Basispunkte. Dabei sieht es sogar so aus, als ob Pikachu ein bisschen mehr hiervon profitiert. Insgesamt sind die Basissummen mit 430 (Pikachu) bzw. 435 (Evoli) jedoch immer noch deutlich niedriger als die der Standardstarter in ihrer finalen Entwicklungsstufe. Diese liegen im Schnitt bei etwa 530.

Dennoch habe ich alleine mit meinem Evoli in LGPE alles rasiert. Insbesondere am Anfang der Reise ist das Starterpokémon viel zu stark. Man merkt deutlich an dieser Spieledynamik, dass die Entwicklungsmöglichkeit fehlt. Ein Ausgleich, z.B. durch wachsende Basiswerte fehlt leider. Stattdessen wird mit dem Starterpokémon fast alles niedergemäht, und das trotz der modifizierten Levelkurve.

Diese ist nämlich bis auf die ersten 10 Spielstunden deutlich höher als zu Gameboyzeiten, und sogar vergleichbar mit der Level-kurve aus Kalos. Letztere ist rein rechnerisch eine der anspruchsvollsten Level-kurven (dazu aber mehr im Artikel zu XY).

Im Fall von Evoli liegt dies an seiner massiven Auswahl an Coverage, wobei jede einzelne Attacke selbst nochmal mit zu den stärksten Attacken der entsprechenden Typen zählt, zumindest wenn man die Basisstärke nimmt und dann den Zusatzeffekt mit einkalkuliert. Pikachu, welches bereits 5 Basispunkte weniger hat, besitzt nicht im Ansatz eine so große Vielfalt, was wohl auch einen Punkt der sehr große Beliebtheit von Let’s Go Evoli gegenüber Let’s Go Pikachu erklärt. Insgesamt wirkt es leider so, als ob Evoli Pikachu gegenüber sehr stark bevorzugt wird und im Fokus der Entwickler stand. Man sollte aber nun nicht meinen, dass Statuswerte relevant werden, denn durch das Bonbon-System können diese einfach ins unermessliche gesteigert werden, da eine sinnvolle Cap nicht existiert.

Das lief leider nicht so gut...

Aber als wäre das Spiel noch nicht einfach genug, kommen wir jetzt zum Koop-Modus. Wobei dieser kein richtiger Koop-Modus ist. Der zweite Spieler kann auf der Overworld nichts machen. In Kämpfen stattdessen kann dieser helfen, indem die Spieler zwei Pokémon gegen ein einziges einsetzen. Nicht gerade ausbalanciert. Und beim Fangen kann man sinnvoller Weise auf den Partner verzichten, die beste Synchronität beim werfen ist sowieso dann erreicht, wenn ein Spieler die JoyCons in die Hände nimmt und gleichmäßig schüttelt. Dies ist nicht gut durchdacht und eigentlich schon ein Missbrauch des Koop-Modus.

Am meisten hat mein Herz geblutet beim Weglassen der Safari-Zone. Der stattdessen vorhandene GoPark ist obsolet, wenn man kein Pokémon Go spielt. Und falls doch, so kann man nur diese Funktion nutzen, wenn man auf dem Smartphone mindestens Bluetooth 4.1 Firmware oder höher hat. Alles darunter wird von der Switch leider nicht unterstützt. Pokémon, die dann übertragen wurden, landen einfach so in der Box. Ein Trost wäre zumindest noch eine „Park der Freunde“ Mechanik wie in der 4. Generation gewesen, oder aber ein sonstiges Coexistieren von GoPark und Safari-Zone.

Mein Fazit:

Alles in allem ist mein Fazit für Let’s Go Pikachu und Evoli: Ein schönes Spiel, welches gerade für Anfänger geeignet ist, und von dem Veteranen durch eine Schwierigkeitswahl ähnlich wie in S2W2 noch mehr profitieren können. Die Sehnsucht für ein Let’s Go Jotho ist da, und im Falle einer Verbesserung oben genannter Themen hätte dieses durchaus Potential, noch weiter oben im Ranking zu erscheinen.

DR. BARTHOLOMEUS KRESSENSTEIN

Präsident der Noris-Liga, wird Euch ab sofort in einer regelmäßigen Kolumne mit seinem analytisch aufbereiteten Fachwissen zur Seite stehen und Euch so einen etwas anderen Einblick in die Welt der Pokémon, in verschiedensten Themenbereichen, gewähren.

Den Anfang macht die Artikelreihe “Dr. Kressensteins Rankings”.